Der Ursprung dieser 1997 erbauten Orgel liegt zum Teil 100 Jahre zurück. Wegen einer neuen Orgel – Nachrichten über Vorgängerinstrumente bestehen seit 1525 – war die Münstergemeinde 1898 mit Orgelbaumeister Wilhelm Schwarz, Überlingen, in Kontakt getreten. Dieser lieferte 1903 ein zweimanualiges Instrument (II/P/27) mit pneumatischen Kegelladen und reich verzierter neogotischer Prospektfront.

Diese zunächst geschätzte Orgel mit ihrem hochromantischen Klangbild wurde in den dreißiger Jahren um hellere Stimmen ergänzt. Veränderte Klangvorstellungen führten 1954 quasi zu einem Neubau. In der nun dreimanualigen Orgel neobarocken Zuschnitts fand ein Teil des alten Pfeifenwerks in veränderter Form Wiederverwendung. Ein mächtiger Freipfeifenprospekt (16′) nahm die gesamte Emporenbreite ein, weshalb die rückwärtigen Obergadenfenster geschlossen werden mussten.

Vier Jahrzehnte später war die elektropneumatische Orgeltechnik stark überholungsbedürftig geworden, weshalb zum Abschluss der umfassenden Kirchenrenovation eine Erneuerung angestrebt wurde. Bei dem inzwischen wiedererwachten Interesse an romantischen Orgelklängen fielen einzelne Register aus der alten Schwarz-Orgel auf. Genaue Untersuchungen bestätigten die gute Qualität des alten Pfeifenmaterials und ebenso tiefgreifende Veränderungen. Eine konsequente Rückführung auf den Originalzustand von 1903 war nicht mehr möglich. Das neue Orgelkonzept baut auf dem von 1903 erhaltenen Pfeifenbestand auf.
Aus der Restaurierung und Vervollständigung des Bestands ergab sich das Grundgerüst, welches es im Sinne einer Neuschöpfung adäquat auszufüllen galt. Auf färbende Aliquotstimmen und charakteristische Zungenregister sollte dabei ebenso wenig verzichtet werden wie auf die effektsteigernde Wirkung von zwei Schwellwerken (II u. III). Für die neue Orgel wurde auf das bewährte System der Schleiflade mit mechanischer Spiel- und Registertraktur zurückgegriffen. Die Konstruktion berücksichtigt jedoch den größeren Platz- und Windbedarf der ursprünglich auf Kegelladen intonierten Pfeifen, was bei Spieltraktur und Windversorgung zu beachten war.
Auf den Einsatz moderner Registrierhilfen musste verzichtet werden, aus dem einfachen Grund, weil im Liebfrauen-Münster elektronische Bauteile regelmäßig durch Blitzschlag beschädigt werden. Bei der Ausführung der Spielanlage wurde dennoch Wert auf größtmögliche Benutzerfreundlichkeit gelegt.

Eine letzte überraschende Wendung nahm dieser Orgelneubau, als auf dem Dachboden des Pfarrhauses die gesamte obere Prospektfront der Orgel von 1903 wiederentdeckt wurde. Fotografien ermöglichten eine vollständige Rekonstruktion des Unterbaus. Der prachtvolle Orgelprospekt erweckt beim Betrachter gesteigerte Erwartungen an den Orgelklang der deutschen Orgelromantik, die nun ins Liebfrauen-Münster zu Radolfzell zurückgekehrt ist.
OBM Peter Mönch
Mönch Orgelbau, Überlingen/Bodensee
Mönch, Überlingen
1997, III/40, mech./mech.
Die Orgel verfügt über 2.528 Pfeifen aus Zinnlegierungen und Holz, von denen ca. 40 % aus den Vorgängerinstrumenten von 1903 und 1954 stammen.
Die Konzeption orientiert sich an der Prospektfront und dem Pfeifenmaterial von Wilhelm Schwarz (Überlingen, 1903) und führt die romantische Ursprungsausrichtung fort.
Die Spielanlage ist angebaut, die Trakturen hängend ausgeführt.

Disposition
I. Manual | C-g3 | II. Manual (SW) | C-g3 |
Bourdon | 16′ | Geigenprincipal* | 8′ |
Principal* | 8′ | Salicional* | 8′ |
Gamba | 8′ | Vox cœlestis* | 8′ |
Flöte* | 8′ | Liebl. Gedeckt* | 8′ |
Gedeckt* | 8′ | Fugara* | 4′ |
Octave* | 4′ | Flaut travers | 4′ |
Rohrflöte* | 4′ | Nasard | 22/3‚ |
Superoctave* | 2′ | Octavin | 2′ |
Mixtur 4f. | 2′ | Terz | 13/5‚ |
Cornett 3-5f.* | 8′ | Mixtur 4f. | 22/3‚ |
Trompete | 8′ | Trompete harm. | 8′ |
Clairon | 4′ | Oboe | 8′ |
Tremulant | |||
III. Manual (SW) | C-g3 | Pedal | C-f1 |
Bourdon | 8′ | Principalbaß | 16′ |
Flaut amabile* | 8′ | Subbaß* | 16′ |
Principal | 4′ | Bourdon | 16′ (T) |
Blockflöte | 4′ | Quintbaß** | 10 2⁄3′ |
Piccolo | 2′ | Octavbaß* | 8′ |
Larigot* | 11/3‚ | Violoncello | 8′ |
Sifflet | 1′ | Tenoroctave | 4′ |
Clarinette | 8′ | Posaune* | 16′ |
Tremulant | Trompete* | 8′ |
Koppeln: | II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P, 16′/II (durchkoppelnd), II 4′/P |
Spielhilfen: | Setzer Anlage** |
Expertise: Konrad Philipp Schuba, Reichenau
* Unter Verwendung originalen Pfeifenmaterials der Schwarz-Orgel von 1903
** 2023 eingebaut